Einige Leser haben mich angeschrieben, ob es sich heutzutage überhaupt noch lohnt, eine Consumer-Kamera, beispielsweise aus der Nikon Coolpix S… oder Canon Powershot SX…-Serie zu kaufen. Meine Antwort dazu lautet für den typischen Amateur-Fotografen, der im Automatikprogramm in JPEG fotografiert ganz klar NEIN.
Mit Präsentation der EOS R von Canon sowie der Z-Kameras von Nikon sind endlich einigermaßen ernst zunehmende Innovationen auf den Markt gekommen. Die Kameras sind spiegellos und interagieren besser mit Mobilgeräten. Die Touchscreens sind ebenfalls ein großer Fortschritt. Aber es ist noch ein weiter Weg vor uns.
Zusammenfassung dieses Artikels als Video
Das Video ist schon ein paar Jahre alt, aber nicht so ganz verkehrt.
Für ambitionierte Fotografen oder Pros, die eine leistungsstarke Zweitkamera suchen und in RAW Fotografieren, gibt es inzwischen ein eigenes Segment von Edelkompaktkameras, die dafür aber auch einen nicht ganz billig sind. Zu nennen sind hier die Powershot G-Modelle von Canon, natürlich Sonys RX100 (egal welche Generation), Fujis X100-Serie oder vielleicht auch die Zfc von Nikon.
Aber für alle anderen kann ich nur raten: Etwas mehr Geld in ein anständiges Smartphone investieren und damit fotografieren. Es muss ja nicht ein iPhone 13 Max oder ein Pixel 6 Pro sein, auch gute Mittelklasse-Smartphones haben inzwischen wirklich gute Sensoren und ausgereifte Software an Bord. Wer in RAW fotografieren möchte – auch das geht inzwischen problemlos. Ich habe dazu einen eigenen Artikel geschrieben.
Aber wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Nikon, Canon, Panasonic und zum Teil auch Sony haben bis vor 5 Jahren die 10 Jahre davor so ziemlich alles verschlafen, was im Bereich Fotografie im Amateur- und Consumerbereich passiert ist und ich bin davon überzeugt, dass das bei nicht wenigen auch sehr großen Playern der Branche zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen in den nächsten Jahren kommen wird. Der Blick auf Nikons Quartalszahlen der Jahre 2018, 2019, 2020 zeigt das noch mal dramatisch.
Dabei ist das Interesse an Fotografie nach wie vor hoch und dank Smartphones wird so viel fotografiert, wie nie zuvor. Das unten stehende Beispiel hier zeigt mal den Verlauf der Suchabfragen zu den Begriffen „Digitalkamera“ , „Kompaktkamera“ und „Fotografie“. Der Anteil der Suchanfragen zu Digitalkamera und Kompaktkameras sinkt, die Suchbegriffe zu „Fotografie“ bleiben auf annähernd gleichem Niveau. Quelle: www.google.de/trends
Aus meiner Sicht ist das Segment Consumer-Kamera besonders Point-and-Shoot Kameras nicht mehr zu retten. Diesen Rückstand zum Smartphone holt keiner mehr auf, da können Milliarden versenkt werden und man wird allenfalls auf Augenhöhe sein aber nie wieder vorbeiziehen. Eine Kooperation mit einem Smartphonehersteller kann etwas bringen – wie die Kombination Leica und Huawei zeigt. Aber ob auf einem Smartphone Panasonic oder Pentax drauf steht, ist egal, deswegen verkauft sich da nicht ein Exemplar mehr.
Was noch zu retten ist, sind die teureren Segmente für Profis und ambitionierte Amateure. Die kaufen sowohl gut ausgestattete Kompaktkameras als auch Systemkameras mit und ohne Spiegel. Aber da gibt es auch noch jede Menge Hausaufgaben:
- Erst in den letzten Jahren ist man bei den Kameraherstellern auf die Idee gekommen, ein Touch-Display könnte sinnvoll sein – warum erst jetzt? Jedes 100€ Smartphone ermöglicht bessere Interaktion als meine 2.500€ teure Vollformatkamera. Auf einer Kompaktkamera könnte man durch ein gutes Interaktionskonzept die meisten Buttons weglassen, stört ja beim Smartphone auch niemanden. An einer Profikamera möchte ich nach wie vor Buttons für ISO, Weißabgleich, Verschlusszeit, Blende, Belichtungskorrektur usw. haben – da kann das Touchdisplay eine gute Ergänzung sein. Hier braucht es auch etwas Intelligenz in der Software, dass das Display nicht jedes Mal reagiert, wenn ich mit meinem Gesicht die Kamera berühre, wenn ich durch den Sucher schaue.
- Schnell mal ein Foto machen und teilen – kann man mit Kompakt- oder Systemkameras, die älter als 3 Jahre sind, voll vergessen. Die Kameras sind offline oder können, wie bei Nikon mit separaten WLAN-Adaptern ein wenig Netzwerkfähig gemacht werden. Snapbridge von Nikon war lange ein Versuch, der im Keim zu ersticken drohte. Erst mit der zweiten Generation der Z-Kameras aber auch mit D780 oder D850 funktioniert das inzwischen zuverlässig. Und ja, die Datenmengen sind groß – aber wenn demnächst Waschmaschinen und Kühlschränke miteinander kommunizieren sollen, wird das ja wohl auch mit einer Kamera möglich sein.
- Dazu komplizierte Menüführungen aus der Programmierhölle der 1980er Jahre. Warum hat sich da in den letzten Jahren keiner mal was einfallen lassen? Es arbeiten scheinbar keine UX-Experten bei den Teams, die das UI für die Kameras entwickeln. Da darf man sich mit einem Klick-Dial durch riesige Menübäume wälzen und der Einzige Komfort sind dann 2 oder 3 programmierbare Tasten. Für alles andere bleibt die Menü-Hölle. Sony beispielsweise hat bei den A7 Kameras erst 2021 angefangen, zumutbare Menüstrukturen zu releasen.
- Nicht jeder mag Firmware-Updates aber meist können die Kameras viel mehr, als die bei der Auslieferung an Funktionen haben. Die Markenbindung für einen Kunden kann signifikant gesteigert werden, wenn er nicht nur ein Jahr Freude an seiner Kamera hat und dann schon aufs Nachfolgemodell schielen muss. Das mag verkaufsfördernder sein aber ist ein Modell aus dem letzten Jahrtausend. Liebe Hersteller: Fixt mit regelmäßigen Updates nicht nur Bugs sondern erweitert die Geräte. Eure Kunden werden es Euch danken!
- Da ich mich schon länger mit dem Thema beschäftige, bin ich in diversen Diskussionen auch über den Punkt gestoßen, die Betriebssysteme der Kameras zu öffnen und so Entwicklern die Möglichkeit zu bieten eigene Apps zu schreiben. Dieses Modell kann sowohl für Hersteller als auch für Entwickler sehr profitabel sein – für den Kunden bietet sich die Möglichkeit aus seiner Kamera das zu machen, was er braucht.
Fazit: Wer braucht noch eine Kompaktkamera?
Die Corona-Krise mit dem Einbruch im Reisemarkt, ausgefallenen Groß- und Kleinveranstaltungen aber auch Hochzeiten usw., haben den Trend noch weiter verstärkt. Die großen Hersteller, die noch übrig sind, fokussieren sich auf teuere und vor allem spiegellose Systemkameras (Sony, Canon, Nikon, Panasonic), auf Nischen wie Premium (Fuji, Leica) oder auf die wenigen treuen Fans ihrer Marken (Pentax / Ricoh).
Für alle anderen gibt es inzwischen Handys, die fast alles was große Kameras können, einfacher und schneller liefern, die allerdings mit Software so viel an den Fotos rumrechnen, dass man sich fragen muss, ob das noch Fotografie ist.
Fazit: Wer einfach „nur“ Fotos“ machen möchte, ist schon bei Mittelklasse-Smartphones von Samsung, Apple oder Google absolut richtig aufgehoben. Wer heute noch eine Kompaktkamera kauft, tut das bewusst. Wer sich dafür interessiert und das nötige Kleingeld mitbringt, kann einen Blick auf die X100-Serie von Fuji, die Q-Serie von Leica oder auch die Ricoh GR-Serie werfen.